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PRIDEBLOG Trans*, Krieg, Melodie – Die Probleme einer Community im Aufbruch

16.06.2017 | cb — Keine Kommentare
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Die Münchner*innen sind wieder in Kyiw. Zum sechsten Mal nun schon unterstützen wir, Lesben und Schwule aus der Münchner Community, Trans* und Bi*, unsere Freundinnen und Freunde vor Ort. Die haben in diesem Jahr Großes vor mit einer Pride Week, die länger denn je und reich an bunten, kreativen und lehrreichen Events ist. Sie zeigen Filme, diskutieren, unterrichten und Partys gibt es auch, klar! Der Pride March soll in diesem Jahr um die 5000 Menschen in die Kapitale locken. Wir Münchnerinnen und Münchner machen mit und beteiligen uns unter anderem mit einem T-Shirt-Workshop am Kulturprogramm. „Ein Land für alle“, lautet die Botschaft des diesjährigen KyivPride. Oder anders: Minderheitenrechte sind Menschenrechte und gut fürs ganze Land!

Andrii hat es Montag schon gesagt, als wir nachmittags noch schön in der Sonne am Goldenen Tor im Biergarten saßen. Andrii Kravchuk, Chef der LSBTI-Organisation Nash Mir in Kyiw. Seine Beobachtung: Die Trans*-Community wird sichtbarer in der Ukraine und wie zur Bestätigung spricht auch Anna Leonova heute darüber, die die Gay Alliance Ukraine führt. Die besuchen wir an diesem Donnerstag, in aller Früh, und Anna berichtet uns über die wichtigsten Projekte dieser bedeutenden NGO, die noch im Sommer vergangenen Jahres so große Probleme hatte nach einem Wechsel in der Geschäftsführung.

Anna Leonova ist eine kluge Frau, taff, engagiert, ein bisschen workaholic sicher, was der Sache genutzt hat. Sie hat das Ruder rumgerissen damals, die Geldgeber überzeugt, sie in die Bücher blicken lassen, Vertrauen geschafft. Jetzt ist alles wieder im Lot. Die Gay Alliance Ukraine wächst: In sechs, bald sieben Queer Homes betreibt sie Community-Building, die Website der Organisation wird  in der Tagespresse häufig als Referenzquelle zitiert, die Pride-Bewegung etabliert sich dank der Gay Alliance Ukraine auch in den Regionen, so in Odessa. Etliche Ehrenamtliche stoßen zu der Organisation, die 16 Dependancen im ganzen Land betreibt. Gute Nachrichten also von der Gay Alliance Ukraine und ein verlässlicher, inspirierender Kooperationspartner. Freilich wollen wir aber nicht nur schon wieder an gemeinsamen Projekten tüfteln, sondern auch mehr über die Situation für Lesben, Schwule, Bi*, Trans* und Inter* in der Ukraine erfahren und da ist Trans* eines der interessantesten Themen.

Trans*Twist – kleine Community, großer Zwist

Sonnig, aber kühl ist es heute, da wir die Gay Alliance Ukraine besuchen. Kein Vergleich mit Montag, der Sommer macht irgendwie Pause. Der eine oder andere schnieft. Und es passt ja auch zu unserem Gespräch. Die Sonne scheint über der ukrainischen LSBTI-Community, aber untereinander ist man oft verschnupft. Anna wiegt ihre Argumente, sie gibt sich ganz diplomatisch. Wir entnehmen das der Übersetzung, denn Anna spricht kein Englisch, ihre Kollegin Olena Hanich übersetzt, unsere Ansprechpartnerin für München. Denn: Sichtbarer wird die Trans*Community zwar schon, nur sind über die Jahre neben der großen LSBTI-Organisation Insight (Schwerpunkt: Trans*) so viele kleine Organisationen und Initiativgruppen entstanden, dass Konflikte in der Community nicht ausbleiben. Und das will Anna möglichst behutsam rüberbringen.

Klar aber ist: Jede Gruppe, jede Vereinigung hat so ihre eigenen Vorstellungen davon, was Trans* ist, wer dazu gehören darf und wer nicht, wie mit dem Thema umzugehen ist und wie nicht. Insight zum Beispiel ist die Identität ihrer Leute wichtig, jede und jeder darf sein, wonach sie, er sich fühlt. Menschsein – darum geht es. Transition, Operation, Dokumente – es ist relevant, aber zweitrangig. T-ema dagegen, eine noch recht junge Gruppierung, konzentriert sich auf Trans* als Krankheitsbild und wie es zu behandeln ist. Daneben existieren noch zig Kleinstbünde unterschiedlicher Weltanschauung, was es der Szene schwer macht zusammenzufinden.

Dazu kommt noch er Kampf um die Fördergelder aus dem Ausland, der den Zwist in dieser, so Kravchuk von Nash Mir, „winzigen Community“, noch befördert. Schade, aber von solchen Kämpfen sind wir ja auch in Deutschland nicht gefeit.

LGTW – Let’s Go To War

Irgendwann stellt einer von uns die Königsfrage – nach dem Krieg im Osten. „Beeinflusst er Eure Arbeit?“ – „Natürlich“, sagt Anna. Der Krieg beeinträchtig alles in diesem Land.  Und das auf vielen Ebenen. Der Krieg ist

  1. erstens ein gutes Argument für alle, die sexuellen Minderheiten jegliche Rechte absprechen. Denn: Es ist ja Krieg, gibt es da nichts Wichtigeres zu tun als für Menschen- und Homo-Rechte auf die Straßen zu gehen? Das fragen sich viele Ukrainer*innen.
  2. Der Krieg spaltet die Community. Sollen sie sich auf die Seite der Patriot*innen stellen oder nicht? Und was nutzt es ihnen am Ende? Diese Frage stellen sich viele Lesben und Schwule in der Ukraine. Radikale Feministinnen zum Beispiel plädieren für eine Entmilitarisierung; so manche Lesbe verteidigt ihr Land aber auch an der Front. Und
  3. Der Krieg treibt die Menschen in die Flucht. Wer kümmert sich um all die Binnenflüchtlinge mit „nicht-traditioneller sexueller Orientierung“, wie es hierzulande so schön heißt. Flüchtlinge, die ohnehin niemand willkommen heißen mag, weil man ihnen insgeheim unterstellt, mit den Russen zu kollaborieren. LSBTI sind doppelt stigmatisiert.

Heikle Themen. Anna atmet tief aus, als wir auch noch wissen wollen, ob der Konflikt im Donbass in irgendeiner Weise die Kooperation mit Lesben, Schwulen und Trans* in Russland berührt. Tut er, sagt Anna, die Kooperation klappt irgendwie, solange man über LSBTI spricht. Russische Aktivist*innen reisen beispielsweise zum Pride-Marsch am Sonntag an. Aber sobald es um nationale Interessen geht, etwa die Besetzung der Krim, ist schnell Schluss. Viele russische Aktivist*innen finden es nämlich gar nicht so schlecht, dass die Krim jetzt ihnen gehört. Kein Wunder also, dass das Misstrauen groß ist. Es fehlt an Vertrauen. Am Mittwoch erst wurde in Borispil am internationalen Kyiwer Flughafen zwei schwulen Russen die Einreise verweigert, die am Wochenende mitlaufen wollen. Die Organisator*innen des KyivPride konnten die Behörden nur mit Mühe davon überzeugen, dass die beiden Aktivisten nichts Böses im Schilde führen.

Wie schön, wenn es dann irgendwann auch wieder um schöne Themen geht, die gemeinsame Arbeit nämlich, speziell das Chorprojekt, dem wir uns nachmittags widmen. Das ist eine echte Erfolgsgeschichte. 2018 findet in München das Chorfestival Various Voices statt, Lesben- und Schwulenchöre aus ganz Europa kommen dann an die Isar, auch aus der Ukraine. Schon jetzt sind über 3000 Menschen angemeldet. Einen Kooperation mit dem Chor Qwerty Queer aus Odessa besteht schon seit drei Jahren. Jetzt haben sich in den Queer Homes der Gay Alliance Ukraine drei weitere Chöre gebildet, die auch gerne nach München kommen würden.

Gleichklang statt Dissonanz?

Im Community-Center der Gay Alliance Ukraine sitzen die Chorleiterinnen aus Odessa und Charkiw, Olga Rubtsova und Daria Feldman. Junge, charismatische Frauen, die im Ehrenamt jeweils elf und zwölf Sängerinnen trainieren. Montag sind sie beim Empfang in der Deutschen Botschaften aufgetreten, auch die Eröffnung des KyivPride im Pride House haben sie musikalisch mit ihren Chören begleitet. Wie besprechen die Details: Qwerty Queer ist für 2018 ist gesetzt. Jetzt ist die Frage, ob auch aus Charkiw, Winnyzja und Krywyj Rih die Ensembles nach München reisen werden – eine Kostenfrage vor allem, die wir lösen wollen. Wir diskutieren alle Optionen. Am Ende bieten wir den Neulingen an, 2018 vielleicht gemeinsam im Gasteig aufzutreten, wenn sie wollen und sich in der Lage dazu sehen. In den nächsten Wochen müssen sich die Chöre dazu eine Meinung bilden. Wir sind gespannt, ob sie sich einigen können. Gemeinschaft statt jede/r für sich? Es wäre ein tolles Zeichen – für München, vor allem aber für die Community in der Ukraine. „Ein Land für alle“, lautet doch das Motto des KyivPride 2017. In diesem Sinne: Happy Pride!

(Conrad Breyer)

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