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PRIDEBLOG Wechselbad der Gefühle

10.06.2016 | cb — Keine Kommentare
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Die Münchner*innen sind wieder in Kyiw. Zum fünften Mal nun schon unterstützen wir, Lesben und Schwule aus der Münchner Community, unsere Freundinnen und Freunde vor Ort. Die haben in diesem Jahr einen wunderbaren Pride organisiert, mit einer Pride Week, die reich an bunten, kreativen und lehrreichen Events ist. Und einen Pride March, der so viel Unterstützung aus allen Schichten der Gesellschaft erfährt, dass man getrost von einer Zeitenwende sprechen kann. Im Fernsehen und in den U-Bahnen läuft eine Kampagne pro Pride, viele Politikerinnen und Politiker, Künstler*innen, Blogger, ja Soldaten stehen für Menschenrechte ein, die Gegner sind schwach. Wir Münchnerinnen und Münchner haben unseren Anteil an diesem Erfolg; wir beteiligen uns auch am Kulturprogramm. “Unsere persönliche Sicherheit dient der Entwicklung des Landes” lautet grob übersetzt die Botschaft des diesjährigen KyivPride. Oder anders: Alles wird gut!

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Donnerstag – ein Wechselbad der Gefühle. Viele gute Eindrücke, Ansätze, die ich geradezu visionär finde – auch für deutsche Verhältnisse – und natürlich die obligatorischen schlechten Nachrichten. Irgendwie Ukraine halt.

Aber der Reihe nach; morgens Treffen um 10.15 Uhr am McDonald’s auf dem Maidan. Unser üblicher Platz für Treffen vor den einzelnen Terminen, denn der Maidan liegt zentral im Herzen von Kyiw. Von hier aus sind alle Organisationen in 10 bis maximal 15 Minuten zu Fuß zu erreichen. Und natürlich ist der Platz bei gutem Wetter auch sehr schön. So war es auch heute. Als wir den Treffpunkt erreichten, dösten die Raucher schon in der Vormittagssonne und die Zigaretten glühten langsam vor sich hin.

Dann führte Conrad, Conrad Breyer, Mitglied von Munich Kiev Queer, unsere Gruppe zu Insight. Diese Organisation, mit Fokus auf Transgendern und Frauen, hat erst vor Kurzem ein neues Büro in der Nähe des Michaelsklosters bezogen. Die Räume sind sehr schön und großzügig. Das LGBTI-Zentrum erinnert mich stark an SUB oder DIVERSITY in München. Erstmal nehmen wir alle auf den super gemütlichen Sitzsäcken in allen Farben des Regenbogens platz. – Hoffentlich kommen wir da wieder raus.

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Svetlana, Fritz und Yuri von Insight berichten uns Spannendes zu ihrer Arbeit vor Ort. Von ihren Kulturtagen, dem Festival der Gleichheit, das in Kyiw zwar ein großer Erfolg waren, aber leider in Lwiw, im überwiegend katholischen Westen der Ukraine, leider am Widerstand der lokalen Behörden und Rechtsradikaler gescheitert ist. Das überrascht uns dann doch sehr. Svetlana erklärt, dass die West-Ukraine sich zwar deutlich europäisch gibt, aber unter der Oberfläche sind die Einstellungen nicht anders als im Rest des Landes. Dies sei sehr gut an der Person des Bürgermeisters von Lwiw zu sehen. Sehr schade. Andererseits berichten die drei auch von einem Chorbesuch aus den USA und müssen ein Schmunzeln unterdrücken. Bei dem Konzert, zu dem die amerikanische Botschaft eingeladen hatte und zu dem u.a. auch homophobe Politiker und Vertreter der Kirchen gekommen waren, outeten die Mitglieder den Chor als schwul und erzählten individuelle Coming-Out-Geschichten. – Im Nachgang zu der Veranstaltung soll den Medien untersagt worden sein, die Gesichter einiger Prominenter aus dem Publikum im „Moment der Wahrheit“ zu zeigen.

Ein anderes Detail aber hat mich sehr faziniert: Insight hat im Umfeld dieser Kulturtage auch ganz bewusst den Schulterschluss mit anderen Organisationen für Minderheiten gesucht. So haben sie sich mit Behindertenverbänden, religiösen und ethnischen Minderheiten getroffen und Workshops zu gemeinsamen Zielen veranstaltet. Allen ist hierbei gemein, dass sie in Ruhe und möglichst ohne Angst in der Ukraine leben wollen. Auf dieser Basis gilt es nun, eine Allianz zu schmieden, um mit Kampagnen die Öffentlichkeit für die Rechte und Bedürfnisse aller Minderheiten zu sensibilisieren. Aber auch die Transleute sind gut organisiert. Fritz berichtet von regelmäßigen Treffen der Gruppe, zu denen bis zu 30 Leute kommen. Ihm ist wichtig, dass nicht zwischen Transformation von Mann zu Frau oder von Frau zu Mann unterschieden wird. Nur der Mensch zähle.

Der zweite Termin führt uns zum Kiewer Queer Home der Gay Alliance Ukraine. Diese separaten Wohnungen dienen als Treffpunkt für LGBTI-Aktivist*innen – diesmal aber haben wir dort heterosexuelle Menschen getroffen. Das gibt es? Und in der Ukraine? LGBT-friendly? Die Organisation SCI (Service Civil International), die internationalen Zivildienst organisiert, hat seit 2015 einen Zweig in Kyiw, der sich mit Menschenrechten beschäftigt. Und darunter werden auch LGBTI-Rechte gesehen. Super, endlich junge Ukrainer, die das verstanden haben. Also treffen wir uns mit SCI, mit Jana, Oleksey, Sarah, Alessia und Karlo. Sie interessieren sich sehr für unsere Kooperation und deren Historie. Daneben, und das fand ich persönlich sehr schade, berichten sie aber auch davon, dass sie als Nicht-LGBTI-Menschen auf Veranstaltungen schief angeschaut wurden bzw. sogar einige Sprüche einstecken mussten. Schwule und Lesben, die Heteros diskriminieren. Gerade weil ich es super finde, dass sich junge Menschen außerhalb der „üblichen“ Kreise für unsere Themen interessieren, bin ich betroffen. Natürlich kann im Gespräch die Ursache schnell geklärt werden; Die LGBTI-Aktivist*innen hier vor Ort haben bisher nur schlechtes von außen erfahren und können sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen, dass es auch anders geht. – Daran muss aber noch gearbeitet werden. . . . je länger ich darüber nachdenke aber auch bei uns in München. Ein schönes Beispiel für den Erfahrungstransfer von Kyiw nach München.

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Dann etwas Pause zum Verschnaufen.

Nachmittagstermin bei der Gay Alliance Ukraine, im Hauptquartier sozusagen. Gleich nach dem Hereinkommen wird uns aber gesagt, dass wir uns nicht an diese Räume zu gewöhnen brauchen; Ende des Monats zieht die Zentrale in ihr Queer Home, in dem wir am Vormittag bereits waren, um Geld zu sparen. Die Gay Alliance Ukraine ist derzeit finanziell unter Druck; das liegt am Audit eines Geldgebers. Gleichzeitig gilt es, neue Geldgeber zu akquirieren und die Organisation etwas zu verschlanken. Leider musste man sich auch von einigen Mitarbeitern trennen, sagt Anna Leonova, die neue Chefin. Yuri Yourski, der sowohl Teil von  Munich Kyiv Queer als auch der Gay Alliance Ukraine ist, und freundlicherweise übersetzt, fügt hinzu, dass dies kurzfristig natürlich über Ehrenamt kompensiert wird. Langfristig muss die Arbeit aber wieder auf breiteren Schultern verteilt werden. Das Audit sei schafbar.

Die Gay Alliance Ukraine will diese Situation auch als Chance wahrnehmen, für Veränderungen in Strukturen und mehr Transparenz. Bisher lag das Wissen z.B. über Finanzen immer in den Händen einzelner, dies wird sich jetzt ändern, so Anna. Anschließend geht es noch um die Projekte des neuen Kyiwer Zweiges von Munich Kyiv Queer, Kyiv Munich Queer. Ideen sind genug da – Aber wir sollten es besser langsam angehen, damit die Organisation organisch an den Aufgaben wachsen kann. Darin sind sich dann doch alle einig. Geplant sind für 2016/2017 eine Art Tour des Volunteers-Workshops der Münchener durch die Ukraine, ein Creative-Protest-Festival und noch einiges mehr. Das klingt doch für den Anfang gar nicht so schlecht. Nach dem Audit geht es dann an die konkrete Planung, die von Yuri koordiniert wird.

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Ab zum nächste Termin. Mit Yuri. Mit der Straßenbahn. Soviet-Chic. Die Fahrkarten werden von einer Dame in traditioneller Uniform verkauft – sehr typisch. Fast könnte man schon an Folklore für uns westliche Touristen denken.

Der Abendtermin ist in der Kleinen Oper, die für die Woche zum Pride House umfunktioniert wurde. Ein Film über den Pride in Georgien 2015. Leider kommen wir etwas zu spät, sodass der Film schon vorbei ist. Aber die Diskussion läuft. Ich verstehe, dass die Situation in Georgien noch wesentlich schlimmer ist als in Kyiw. Die Menschen dort sind sehr mutig, denn nicht einmal die Polizei schützt sie wirklich. Andererseits stelle ich fest, dass ich auch irgendwie abgestumpft bin von den Erzählungen über verprügelte Aktivisten. Ich frage mich auch, ob das zur Einstimmung der Anwesenden auf den Pride in drei Tagen geeignet ist. Ich schaue aus dem Fenster. Die Sonne ist schon längst untergegangen, als wir die Oper verlassen. Hunger? Ja, ein wenig. Wir sitzen in unserem ukrainischen Stammlokal und unterhalten uns über die Ukraine, den Tag oder auch mal andere Themen. Der Pride rückt näher. Alle sind etwas erschöpft, aber auch aufgeregt. Die Stimmung ist gut. Dennoch wird der Abend nicht lang. Ich bin um halb eins im Bett. – Gedanken an zuhause. Dann kommt der Schlaf.

[Stefan Block]

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