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Odessablog: Glück im Stillen

03.08.2014 | cb — Keine Kommentare
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Zugegeben: In unserer Partnerstadt Kyiw hat man uns bislang nicht so fürstlich empfangen, aber Kyiw ist eben die Hauptstadt und wir sind nur ein Kooperationspartner unter vielen. In Odessa ist Munich Kyiv Queer eine Besonderheit, obschon wir in einer verwöhnten Millionenstadt sind. Allein drei Gay-Clubs gibt es hier.

Schon am Flughafen geht es fulminant los: Nina Verbytska vom Queer Home der Gay Alliance Ukraine holt uns mit ihren Freundinnen ab. Die Frauen haben Begrüßungsschilder, Lilien und Ballons in den Farben des Regenbogens mitgebracht – und wir tonnenweise Gepäck. Nina ist die Beste.

Der erste Tag beginnt mit einem Treffen im Queer Home. Die Gay Alliance Ukraine, größte LGBT-Organisation in der Ukraine, betreibt diese Lesben-, Schwulen und Trans-Zentren in mehreren Städten des Landes, so auch in Odessa. Kleine Wohnungen hat die NGO angemietet, in denen sich die Community treffen soll. Um reinzukommen, muss man klingen. Wer drin ist, darf erstmal sein: Es gibt zu trinken, Snacks und Zeitungen sowie ein umfangreiches Freizeitprogramm. Jedem Queer Home steht eine Aktivistin vor oder ein Aktivist, die sich um alles kümmern. Die Gay Alliance Ukraine bezahlt diese Leute. In Kyiw wohnt der Heim-Leiter sogar im Queer Home selbst.

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Acht Leute aus München, sieben Frauen, ein Mann, treffen auf Vertreterinnen und Vertreter der odessitischen Lesben- und Schwulen-Gruppen. Die Bandbreite ist verblüffend. Jemand von den Schwestern der Perpetuellen Indulgenz ist hier sowie die Organisationen ManFuls, Partner und Life Plus, die sich vornehmlich mit der HIV-Prävention unter Männern beschäftigen, die Sex mit Männern haben. Der Odessa Bycicle Club hat jemanden vorbei geschickt, auch der Rainbow Club, der – in erster Linie für Frauen – Freizeitaktivitäten organisiert. Dann sind da noch jede Menge Neugieriger, die einfach vorbeigekommen sind im Queer Home in der Neshynskaya Street. Alle sind pünktlich, nur die Deutschen nicht – auch das eine erfreuliche Neuerung.

Wir lernen uns kennen, stellen unsere Arbeit vor. Irgendwann geht es um die Erwartungen, die jeder an diese Woche richtet, in der wir hier in Odessa sind. Immerhin wird es morgen und übermorgen zwei Workshops geben, die Munich Kyiv Queer anbietet – Naomi Lawrence und die Fotografin Bethel Fath machen einen Creative Protest Workshop, Barbara Lux bietet mit ihrer Band Sally Rides ein Queeres Rockcamp an. Unzählige Teilnehmer*innen haben sich angemeldet. Niemand sagt etwas; alle sind schüchtern.

Immerhin finden sich auf Anhieb zwei Leute, die mit uns Münchnerinnen und Münchnern einen Chor gründen wollen. Für Various Voices – das LGBT-Chorfestival kommt 2018 nach München – brauchen wir Sängerinnen und Sänger aus der Ukraine. Über vier Jahre lang wollen Münchens sechs Lesben- und Schwulenchöre diesen Prozess begleiten, die Sängerinnen und Sänger mit ausbilden, sie motivieren, immer wieder nach München dafür holen. Conrad Breyer hat das Projekt für Munich Kyiv Queer vorgestellt. Olyha und Marian sagen sofort zu. Das hatten wir uns komplizierter vorgestellt.

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Nach einer Kaffeepause gehen wir zum Club Vychod („Ausgang“), wo wir Naomis Bilder aufhängen wollen. Die Ausstellung Gay Propaganda haben wir schon zweimal in Kyiw, einmal in München, sogar schon in Toronto beim World Pride gezeigt. Jetzt ist sie in Odessa und setzt sich auf humorvolle Weise mit den Geschlechter-Klischees auseinander. Der Club Vychod ist kein ausgesprochener LGBT-Club, aber offen für alles. In den unfertigen Räumen aus nacktem Ziegelstein hängen unsere Bilder mit den beliebten Comic-Helden zwischen Graffiti, Preistafeln und DJ-Pult. Im hinteren Raum neben der Bar ist die Bühne, wo nach der Vernissage Sally Rides auftreten werden. Die Lesben-Band haben wir eigens aus München mitgebracht. Ein wunderbarer Ort!

Jede Menge Reden werden gehalten. Nina begrüßt die Gäste, etwa 50 Leute aus der LGBT-Community Odessas sind gekommen, Frauen und Männer je zur Hälfte. Naomi spricht, Stanislaw Mischtschenko, Vize-Chef der Gay Alliance Ukraine, und Conrad. In der Ecke steht Herr P., unser Ehrengast vom Münchner CSD 2013. Herr P. hat diese Ausstellung inspiriert; er wirkt geknickt – vor ihm, hinter ihm, um ihn herum jede Menge Gay Propaganda. Das Publikums findet’s lustig, so manche wird den Putin-Kopf an diesem Abend noch aufsetzen und mehr ehrfürchtig denn ausgelassen darüber lachen. Traudl, unsere Übersetzerin, wagt es sogar, den Putin mit Kostüm auf der Straße auszuführen. Die Passanten betrachten das Schauspiel konsterniert. Es ist nicht ganz ungefährlich; wir wollen nicht provozieren.

Nach Naomi kommt Sally Rides: Die drei Frauen machen kurzen Prozess. Da macht es gar nichts, dass die Playlist dieser jungen Band, noch kurz ist. Nach wenigen Stücken tanzt und rockt die Menge mit. Zur LGBT-Community der Stadt hat sich da längst die heterosexuelle Mehrheitsgesellschaft gesellt. Von der Sängerin Maria Cinquotta, der Bassistin Barbara und der Drummerin Julie Kopec sind sie begeistert. Bis zur Zugabe wird viel gejohlt.

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Wir sind sehr glücklich darüber, dass sich die Leute hier so über uns freuen. Der Samstag kann kommen.

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